Zahnarzt - Mein großes Loch bei Mouthbook
- 9. Dez. 2022
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 10. Dez. 2022
PART 1 - DER INNERE KASPER ERZÄHLT...

Zahnarzt: „Wo genau tut es denn weh?“
Ich: „Oben.“
Zahnarzt - nachdem er mit drei monströse Bohrdildos und beide Hände in den Mund geschoben hat:
„Können sie mal bitte genauer beschreiben, wann und an welcher Stelle der Schmerz angefangen hat.“
Ich: „Assssaaaaaarhjjkllgblub...“
Schwester: „Vor zwei Tagen am C4 dorsal.“
Ich zur Schwester (Pantomime) „Daumen hoch!“
Zahnarztfrau kommt rein: „Na, was ist denn nun mit den Schmerzen?“
Zahnarzt: „Ein Loch.“
Zahnarztfrau: „Na Gott sein Dank!“
Ich: Mache einen verstörten„Hä?!“-Blick
Die Schwester zu mir: „Sie meint, gut dass es nichts Schlimmeres ist.“
Der Zahnarzt: „Ich brauch dann noch mal einen Scanbody.“
Schwester geht raus. Was ich denke, dass sie holt vs. Was sie holt: siehe Bild.
Der Zahnarzt gibt mir eine Narkosespritze von der sich meine Lippen anfühlen wie die von Harald Glööckler.
Menschen im Liegen von unten zu betrachten ist einfach nicht schön.
Der Zahnarzt verzieht sein Gesicht angestrengt wie mein Ex beim Onanieren und benutzt Fachworte wie „Vario Tork“, „30er Drehmoment“ und „Tulpenkranz“.
Ich fühle mich wie bei einer schlechten SM-Party und bin bei den ganzen Fachbegriffen unsicher, ob er mir jetzt eine Füllung oder einen Ferrari ins Maul baut.
Für das Polieren von diesem winzigen Zahn braucht er jedenfalls länger als mein Ex für seinen ganzen Ferrari - und das will was heißen!
Ich vermute deshalb wird der ganze Mist auch so schweineteuer...
Danach werden mit einer Art Kameradildo noch Fotos von meinem Mund gemacht.
Vermutlich postet er die Fotos dann in irgend so einer subkulturellen Dental-Fetisch-Community im Internet - „Mouthbook“ oder so und bekommt dann ganz viele Likes für die Bilder von mein großes Loch.
Mit den drauf geschalteten Werbe-Ads für Colgate kann er dann davon all seine teuren Arbeitsgeräte finanzieren. Und dazu noch eine Gummipuppe mit künstlichen Zähnen, in die er stundenlang rein bohren kann...
Spritzer hat er auch an der Brille von dem ganzen Rumgesaue - man sollte Brillen mit Scheibenwischern für Zahnärzte entwickeln. Eine Marktlücke!
Die Fotos von meinen Zähnen gucken wir uns zu dritt an. Sie sehen aus wie von rotten.com.
Peinlich! Das gibt bestimmt keine Likes bei "Mouthbook" - es sei denn die benutzen Fotofilter.
Auch wenn mich das ganze Prozedere tierisch annervt, hab ich immer wieder Respekt vor Zahnärzten und ihren Helfern.
Die Vorstellung, den ganzen Tag fremde verranzte Hauer abzuschleifen oder einem alten Sack stundenlang aus nächster Nähe dabei zuzugucken, wie er noch älteren Säcken wie mir Spucke aus dem Maul saugt ...Ne- lass sein!
Als er die Schwester um den Sauger bittet, muss ich an meine Zeit als Privatpatientin denken.
Damals hat mir der Zahnarzt aus der Luxuspraxis immer eine extra Privat-Rechnung geschrieben wegen „Mehraufwand durch erhöhten Speichelfluss“. Zu Deutsch: Ich sabbere übermäßig ...das war demütigend.
Aus Scham hab ich jedesmal bezahlt und nicht weiter nachgefragt...
Da bin ich froh, dass ich heut nur noch Kasse bin.
Zwei Stunden später gibts die Rechnung - 88 Euro für zwei winzige stecknadelgrosse Kunststofffüllungen.
Also ich glaube die Lippen vom Glööckler waren billiger.
Aber immerhin - letztens hab ich genause viel für eine einzelne Füllung gezahlt - heute krieg ich gleich zwei Löcher dafür gestopft.
Sozusagen "Framstag" beim Zahnart - find ich klasse!
Hab ihm gleich noch meine Deutschland-Card hin gelegt, aber die wollte er nicht.
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PERSPEKIVWECHSEL - Zahnarzt MIT ED
Ich hasse Zahnarztbesuche.
Wegen ED habe ich ein Gebiss wie ein Steinbruch nach der Sprengung. Ich habe aufgehört zu zählen, wie viele Stunden meines Lebens ich schon im Notdienst bei irgendwelchen Zahnärzten verbracht habe. Vermutlich gibt es keine Praxis im Umkreis von 50 km, in der noch nicht an mir rumgedoktert wurde.
Stundenlang haben sie gebohrt, gemeißelt und repariert, versucht zu retten was zu retten ging - meistens nicht viel.
Und jedesmal die Demütigung - mit Fahne da hin zu gehen in der Hoffnung dass keiner es riecht. Erklären zu müssen, warum das Provisorium nach einem Tag schon wieder raus gekaut ist ("so dolle kann man doch gar nicht knirschen"). Oder warum die Betäubung nicht wirkt, obwohl ich schon die dreifache Normdosis intus hatte, damit mein Körper überhaupt mal reagiert.
Ich konnte IBU 800 fressen wie Smarties und war regelmäßig nach 10 Minuten Narkose schon wieder wach, weil mein System so dran gewohnt war betäubt zu werden, dass er über eine normale mediznische Dosis nur lachen konnte.
Wurzelentzündungen heilten nicht aus, - wie auch - ohne Nährstoffe, ohne Immunsystem - die Pest von Chemie und Angst hatte mich bis in die Tiefen durchsetzt.
Wie die Seele, so die Zähne...
Weil ich wie immer die halbe nacht mit schrecklichen Träumen und Unterzuckerung gekämpft habe, bin ich morgens wie so oft gerädert.
Dieser Termin beraubt mich meiner freien Zeiteinteilung - ich fühle mich bereits beim Aufstehen das erste Mal an diesem Tag "mißbraucht" und fremdgesteuert.
Wieso muss ich dorthin, um diese Zeit - und dann noch, um mich quälen zu lassen?! ich bin müde, ich will meine Ruhe.
Zahnarzt ist schlimmer als Montag auf Arbeit - und das will was heißen!
Außerdem hasse ich es, wenn mein Körper jemandem ausgeliefert ist.
Und dann noch einem fremden alten Kerl.
Ich hocke auf diesem schrecklichen Lederstuhl, der aussieht wie einer von diesen grausamen Stühlen, auf denen in Horrorfilmen Leute gefoltert werden. Ich muss an die Zeit denken, in der ich mit Menschen umgeben war, die es normal fanden, am Wochenende in irgendwelche Etablissements zu fahren, wo man sich auf solchen "Möbeln" zu viert oder sechst vergnügt hat und danach gabs Kartoffelsalat mit Wiener.
Erst drei Pimmel im Mund, danach drei Bratwürste. Dazu Sekt und Koks. So what... war normal. Kein Ding.
Ich will dieses alte faltige Gesicht von dem nicht über mir haben. Ich will dass er weg geht. Ich will dass es aufhört! Ich darf mich nicht bewegen und kann nicht sprechen. Ich darf mich nicht wehren und muss still halten, trotzdem es weh tut.
Ich hasse dieses Gefühl des Ausgeliefert seins und ich hasse diesen Zahnarzt in diesem Moment so abgrundtief, dass ich ihm am liebsten mit einem von diesen Geräten die Augen ausbohren würde. Aber ich halte still und mache Scherze.
Eine Stunde später lache ich mit seiner Frau am Empfang über die hässliche überflüssige Weihnachtsdeko am Empfang. Ich zahle brav meine Rechnung, obwohl dafür mein ganzes Weihnachtsgeld drauf geht, von dem ich mir eigentlich endlich mal einen neuen Laptop kaufen wollte. Es schmerzt. Meine Dummheit schmerzt. Dass ich mich selbst so ruiniert habe und jetzt den Preis dafür zahlen muss schmerzt. Eine Stunde jetzt keinen Rotwein und keinen Kaffee jetzt, sagt er beim Gehen noch zu mir. Morgens 10 Uhr. Und das meint er ernst. Offenbar scheint er mehrere Patienten zu haben, für die es durchaus nichts ungewöhnliches ist, um 10 Uhr morgens Rotwein zu trinken. Naja, denke ich, kein Wunder - die Praxis ist ja auch gleich neben Kaufland im Gesundbrunnen. Und vor drei Jahren wäre das vermutlich für mich auch noch eine echte Challenge gewesen. Obwohl - eigentlich nicht. Vor 16 Uhr habe ich nie Rotwein getrunken - viel zu auffällig und schmeckt auch nicht im Kaffee oder O-Saft rein gemischt.
Heute ist es zum Glück anders - aber irgendwie nicht wirklich besser. Ich habe immer noch nichts gegessen, fühle mich gerade wie nach einer Massenvergewaltigung und weiß nicht, wie ich den Rest des Tages überhaupt noch irgendwas runter kriegen soll, ohne meinen ganzen Hass auf diese überfordernde Situation wieder raus zu kotzen.
Alles halb so wild, nimm es einfach mit Humor, sag ich mir.
Aber zuhause ist wieder ED da. Er spürt, wie müde ich bin. Er hat es die ganze Zeit gespürt, auch wenn ich versucht hab es mit meinen Witzen zu übertönen.
Er weiß, dass mir alles zuviel ist, er sieht wie kaputt ich bin und wie grau dieser Novembertag ist und er kennt meine geheimsten Gedanken.
Ich will eigentlich nur zurück ins Bett. Was lesen. Was essen. Nichts machen. Niemanden sehen.
Aber ich muss. Ich muss mal wieder meine Oma besuchen, davor drücke ich mich seit Tagen, weil immer wieder diese unterschwellige Wut hoch kommt, wenn ich in dieses Haus muss, in dem ich immer so viel unterdrücken musste und es immer noch muss - oder auch nicht, aber ich tu´s. Weil ich sie nicht belasten will auf die "alten Tage" .
Ich muss auch endlich mal aufräumen, ich muss mir noch Weihnachtsgeschenke überlegen - eigentlich schenken wir uns nichts, aber die anderen haben bestimmt auch wieder was.
Ich wollte doch schreiben, und endlich mal meinen Kurs zur Selbstfindung anfangen. Meine Runde gelaufen bin ich auch noch nicht. Und morgen bin ich in Dresden verabredet, heut abend wollte ich eigentlich mal ein Date mit mir selbst in der Stadt machen, um zu essen, auswärts, damit es nicht wieder schief geht. Und ich hab ja auch gar nichts mehr im Kühlschrank.
Ich weiß nicht was ich tun soll. Ich weiß nicht wo ich anfangen soll: Ich weiß ED läßt mich nicht in Ruhe - er will dass ich mit ihm zuhause bin und er weiß dass wenn ich das tue ich zu nichts anderem mehr Lust habe. Und ich weiß, dass er eigentlich auch Recht hat, und ich zu nichts anderem Lust habe, es aber mir nicht eingestehe. Oder hat er doch nicht recht - und ich bin es einfach gewöhnt, auf ihn zu hören?
Ich weiß gar nichts mehr - ich bin komplett durcheinander, müde, hungrig, und mir ist alles zuviel.
Ich schaffe es auf dem Heimweg noch in den überfüllten Netto - ED weiß, dass ich Freitags einkaufen hasse, aber mir ist grad alles egal.
Nach ein paar Stunden mit ED bin ich leer im Kopf, und ruhiger.
Der Tag geht irgendwie vorbei.
Ich schaffe den Kaffeebesuch und meine Schritte zu laufen - und irgendwie bin ich zumindest froh, dass ich heute nichts mehr muss, außer diesen Text zu schreiben, der so schrecklich unperfekt ist, dass ich mich morgen dafür schämen und ihn wieder löschen werde.




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