top of page
Beitrag: Blog2 Post

So leicht und doch so schwer - Vom Aufstehen und Loslassen

  • Autorenbild: Leo
    Leo
  • 1. Mai 2023
  • 5 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 3. Mai 2023

ree

Freiheit vom Trinken.

Freiheit vom Hungern, Fressen, Kotzen.

Frei vom Sportzwang, Workaholismus und Existenzängsten.

Frei von Restriktion jeglicher Art.


Ich konnte lange nicht glauben, dass die Lösung so schwierig wie einfach ist.


Loslassen was mich nach unten zieht.

Und der feste Glaube daran, dass es funktioniert.


Auch für mich.


So lange war ich auf der Suche nach Gründen und Ausreden, warum es ausgerechnet bei mir nicht funktionieren kann mit der Genesung.


Mein halbes Leben lang wäre ich lieber tot als einsam und dick gewesen.


Ich habe gehungert, gefressenen, gekotzt und meinen Körper zu kontrollieren und mich mit Alkohol, Drogen, zuviel Arbeit und kranken Beziehungen betäubt, um das zu ertragen.


Weil ich Angst hatte allein zu sein, nicht zu genügen, dick zu werden und einsam und nicht gebraucht in der "Gosse" zu enden, tat ich alles um das zu verhindern. Kontrollierte, kämpfte, leistete. Bis genau das eintrat, wovor ich die größte Angst hatte.


Ich war tot, mehrmals, nicht nur emotional auch körperlich. Am Ende. War leer, haltlos, skrupellos, obdachlos, hilflos.


Weil ich immer an mir gezweifelt habe, nicht wusste was Liebe ist, nie gelernt hatte zu vertrauen. Deshalb musste ich alles kontrollieren und verbessern, vor allem mich selbst .


Lang genug war ich in diesem Irrsin gefangen.


Heute habe ich Gott sei Dank verstanden, dass mein Körper sehr wohl in der Lage ist, selbst die richtige Balance zu finden .


Genau wie mein Leben - wenn ich es zulasse loszulassen.


Ich habe kapiert, dass Glück und innere Zufriedenheit niemals  im Außen zu finden sind.


Mir selbst ist es zunehmend gleichgültig wie ich aussehe.


Meine Waage habe ich längst entsorgt, auch meinen sämtlichen Kleiderschrankinhalt mit den Kindergrössen, die ich in den letzten Jahren trug.


Ebenso meine toxische Ehe, meinen überfordernden Job, eigene Ansprüche an meine Zukunft und jede Menge bescheuerte alte Glaubensätze.


Ich war lange davon überzeugt, dass ich das Einhorn bin, bei dem die Recovery, Nüchternheit und intuitives Essen nie funktionieren werden.


Ich war auch davon überzeugt, durch die Vielzahl meiner Psycho-Diagnosen gegen meine Süchte keine Chance zu haben.


Was sich unter den Zwiebelschichten von ED noch zeigen wird, wieviel übrig bleibt aus der Vielzahl all meiner "Psycho-Diagnosen" - bleibt noch offen.


Zumindest ist nun endlich der Deckel weg, der jahrelang alles andere luftdicht unter sich erstickt hat.


Letztendlich trage ich in jedem Fall eine sichere Diagnose - und die mit Würde:


Die Diagnose Mensch!


Ich werde Charakterzüge und Gedanken behalten die nicht hilfreich sind.


Ich werde immer wieder gute und schlechte Tage haben.


Ich werde hinfallen aufstehen weitergehen während ich lache, weine, schreibe, tanze und lebe.


Ich werde wohl nie wieder die Leistungsfähigkeit erreichen, die für Frauen in meinem Alter von der Gesellschaft gefordert wird. Erst recht nicht die, welche ich jahrzehntelang von mir selbst abverlangt habe.


Dafür ist mein Akku einfach zu verbraucht.


Aber ich muss mich heute nicht mehr betrinken, fressen, kotzen oder mich mit irgendwelchen anderen selbstschädigend Giften wegmachen.


Das ist vorbei - das fühle ich.

Rückkehr ist keine Option mehr.


Und ich weiß egal was jetzt noch kommt -ich werde stark genug sein es zu meistern.


Wer auf dem Meeresgrund war, fürchtet sich nicht mehr vor den Pfützen.


Endlich habe ich alles wovon ich je träumte:


Mich selbst. Meinen Frieden mit dem was war. Meine Familie. Gute Freunde. Innere und äußere Sicherheit.


Ich weiß heute, dass jeder Mensch Ängste Sorgen Zweifel und schwere Tage in seiner Vergangenheit hat. Das ist kein Privileg von  Süchtigen.


Nicht meine schwierige Kindheit, zuviel Zucker oder diverse Traumata haben meine Sucht aufrecht erhalten, sondern meine Angst davor, Verantwortung für meinen Heilung zu übernehmen, meine Unfähigkeit zu glauben und zu vertrauen und meine Hoffnungslosigkeit.


Heilung habe ich nicht hauptsächlich durch die Aufarbeitung meiner Vergangenheit erfahren, sondern durch den festen Glauben an eine freie lebenswerte Zukunft.


Sicher ist es wichtig, aus Fehlern zu lernen und sich selbst zu reflektieren.


Alles Wissen nutzt aber nichts, wenn man es nicht im Jetzt umsetzt  oder versucht, dies ohne die nötige Basis zu tun.


Die Basis ist: ausreichend Energie für den Körper. Also: Essen und ein ausreichend genährter Körper. Und kein Hirngift mehr!


Man befreit sich aus der Essstörung indem man isst.


Man hört auf zu trinken indem man nicht mehr trinkt.  


Man verliert die Angst indem man in sie hinein springt.


Man vergibt Menschen wenn man los lässt, was war.


Es ist so simpel wie schwierig.


Essen und Hunger sind keine Symptome für Einsamkeit, Langeweile oder innere Leere.


Seit ich mir alles erlaube, habe ich kaum Gedanken mehr ans Essen wenn ich allein bin oder mir langweilig ist oder ich traurig bin.


Ich denke an Essen wenn ich hungrig bin.


Nicht mehr. Nicht weniger.


Momentan bin ich noch sehr oft hungrig weil ich viel nachholen muss und mein Körper Sicherheit braucht.


Das akzeptiere ich und kämpfe nicht mehr dagegen an.


Mein Körper war so lange unterernährt und ist es noch - auch wenn ich längst im Normalgewicht bin.


Auch übergewichtige Menschen können unterernährt sein wenn sie restriktiv essen - dann bekommen sie Essanfälle. Das ist keine Disziplinlosigkeit sondern schlicht und ergreifend Hunger!


Auch meine Fressanfälle waren nicht Ausdruck von was weiß ich was sondern einfach der Versuch meines Körpers zu überleben, weil ich ihm niemals zuvor alles erlaubt habe.


Emotionales Essen war mein Konstrukt der Angst und die Fressattacken eine logische Konsequenz, solange ich mein Essen kontrollieren wollte und mir vieles verbot.


Ich wurde lange davon überzeugt, dass ich nie ganz heilen werde. Dass ich mit der Sucht leben und die Symptome für immer mit mir tragen muss .


Meine Sucht sehe ich heute jedoch nur noch als schlechte Gewohnheit.


Alte Autobahnen die ich mir abgewöhnen kann.


Sie wuchern zu, solange ich sie nicht mehr benutze.


Der ganze ED-Mindshit verschwindet nicht von heut auf morgen. Aber guten Gewissens kann ich behaupten es genügten wenige Wochen um eine fast lebenslange Hölle zu verlassen, als ich wirklich bereit war loszulassen und alles zu geben.


Ich konnte mich nicht verändern, um dann nebenbei essen zu können und nicht mehr trinken zu müssen.


Ich musste essen und aufhören zu trinken, um mich zu verändern.


Getreu dem Motto:


Man kann sich nicht in neues Verhalten rein denken. Man muss sich in Neues Denken rein verhalten.


Ich musste essen, um meinen Körper, meinen Geist und meine Seele heilen zu lassen.


Heute bin ich mehr ich als ich es je zuvor war.


Lange habe ich geglaubt ich muss dafür den richtigen Moment abwarten.


Das Geheimnis ist: den gibt es nicht.


Erst als ich scheinbar alles perfekt in Ordnung gebracht hatte im Außen und es keine Ausrede mehr gab lozulassen, ich es aber dennoch nicht tat, wurde mir klar, wie sehr ich mich selbst betrüge mit diesem Gedanken.


Es gibt nur einen Weg:


Den ersten Schritt. Und dann den nächsten und den nächsten.


Immer nur einen Schritt. Immer nur einen Tag.


Immer nur heute.


Bis aus Tagen Wochen Monate Jahre werden.


Ich konnte noch so viel lesen hören wissen -aber ich musste es tun.


Letztendlich hat mich nicht der Schmerz, die Angst oder das Leid befreit - ich war Meisterin im Aushalten.


Es war die Kraft und Hoffnung anderer Genesener mit ähnlichen Geschichten die mir irgendwann keine Ausreden mehr übrig ließen liegen zu bleiben.


Ich bin all diesen Menschen so unendlich dankbar, die mit ihrer Bereitschaft ihre Geschichten zu teilen mir den Weg in die Freiheit geebnet haben.


Vielleicht kann eines Tages auch meine Geschichte dasselbe für jemand anderen tun.


Ein Hoch auf uns und dieses Leben!

 
 
 

Kommentare


bottom of page