
Wo ist die Grenze zum „Normal“
- Leo

- 29. Aug. 2023
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 9. Okt. 2023

Ich vertrete auf Arbeit grad zwei Kolleginnen aus der Technik und mein Kopf ist nur am Rotieren…
Sonst hatte ich meist nur einfache Aufgaben ohne viel Verantwortung und Zeitdruck.
Der Stress, den ich dabei empfinde ist wie eine Droge, die mich high macht...
In dem Moment, wenn ich unter extremem Stress arbeite, bin ich total gekickt.
Mein Ego tanzt, ich fühle mich mega klug , gebraucht , im Flow , wieder in meiner „alten Kraft“ .
Aber danach, sobald ich zur Ruhe komme- Zusammenbruch .
Nur schlafen, essen, nichts geht mehr.
Keine Zeit zum Atmen und zum Fühlen zwischendurch und danach keine Energie mehr dafür … alles zieht nur noch vorbei.
Einige kurze emotionalen Momente im Auto auf dem Weg nach Hause werden kurze Zeit später von der totalen Erschöpfung überschattet.
Ich habe keine Lust mehr auf Leute, auf Hobbies, auf schreiben, oder körperliche Bewegung.
Was noch geht ist Instagram, Serien schauen, bissl Whatsappen um die Leere zu füllen - manchmal nicht mal das.
Gleichzeitig wieder Suchtgedanken bzw. depressive Gedanken.
Zum Glück nur noch Gedanken denen keine Handlung mehr folgt.
Den Schlüssel für die Ausweichwohnung musste ich heute nach Arbeit wieder an die Genossenschaft zurück ausgändigen. Den hatte ich erst vor drei Tagen bekommen, weil mir die Handwerker in der Nachbarwohnung seit Wochen jegliche Ruhephasen verwehren.
Es gäbe seit heute schwerere Fälle die Vorrang vor meinem Fall haben. Opfer von Wasserschäden.
Ich hab es diskussionslos getan.
Aus Mitleid. Und weil ich plötzlich meine eigenen Bedürfnisse nicht mehr relevant genug gegen die der anderen fand.
So wie ich immer leise zurück gesteckt habe wenn andere lauter geschrien haben als ich mit ihren Problemen.
Als Kind zuhause, wenn’s meiner Mutter mal wieder schlecht ging. In den Kliniken, der Therapie und der betreuten WG, wenn „schwerere Fälle“ rein kamen. Auch in allen anderen Beziehungen wenn ich schwach war aber merkte, da ist noch jemand, der vermeintlich schwächer ist .
Obwohl ich selbst auf dem Zahnfleisch gekrochen bin.
So viel von dem was gerade passiert löst gerade so vieles aus, das früher passiert ist und ich weiß nicht wohin damit.
Warum das gerade jetzt geschieht?
Vielleicht damit ich mein inneres Kind von damals einmal ganz fest in den Arm nehme. Mit sehr viel Mitgefühl dafür, was geschehen ist.
Weil ich dadurch wieder mehr verstehe, warum ich heute bin wo und wie ich bin.
Damit ich mir verzeihen kann.
Und im hier und heute eine bessere Lösung finde, lerne für mich einzustehen.
Wenn ich nur wüsste wie das geht, ohne mich dabei völlig zu verausgaben oder sinnlos zu rebellieren an Stellen wo es keinen Sinn macht…?!
Ich liege nun wieder in meinem „alten“ Kinderzimmer auf dem Dorf. Bei Papa.
Gerade der einzige Rückzugsort.
Aber auch nicht wirklich. Weil es nicht „meins“ ist. Andere Regeln und Abläufe …
Es regnet seit Stunden, der Strom ist ausgefallen. Ich fühle mich völlig erschöpft, weine und bin froh, dass ich in den nächsten Stunden nichts tun muss außer zu existieren.
Ich frage mich ob auch „normale Menschen“ dieses extreme auf und ab, diese starken Energieschwankungen und diese Leere nach einem „High“ kennen.
Oder ob das ein „Privileg“ ist von Leuten mit Suchtpotential oder Psychodiagnosen.
Oder ob so ein aufgezwungen erschöpfender Alltag irgendwann jeden Menschen in eine Sucht oder Störung treibt?
Oder ob mein Akku einfach runter ist, weil ich zuviel Zeit mit den falschen Dingen an falschen Orten verbracht und zu lange gegen meine eigene Wahrheit gelebt habe.
Bin ich zu verkopft?
Bewerte ich Zuviel?
Ich Versuche loszulassen.
Ich plane kaum noch und wenn dann merk ich immer wieder wie sinnlos das ist.
Gleichzeitig beobachte ich was passiert und will verstehen warum ….
In der Hoffnung besser mit meinem Alltag klar zu kommen . In der Hoffnung mich nicht mehr so zu verausgaben .
Man sagt ja immer: sich annehmen wie man ist. Annehmen was ist. Das sei die Lösung.
Womöglich erschöpft mich am meisten mein Versuch anders sein zu wollen als ich bin. Ruhiger. Entspannter. Ausgeglichener.
Nicht immer diese Extreme..
Vielleicht muss ich nur einfach innerlich groß genug wachsen, damit beide Extreme in mir Platz haben..?!
Ich glaube man bekommt eine psychische Krankheit, wenn man die eigenen Bedürfnisse und die eigene Persönlichkeit dauerhaft versucht zu unterdrücken und „wegzumachen“, sich der Norm anzupassen.
Einer Norm die es so nicht gibt.
Ich glaube das eigene Verhalten und die eigenen Gefühle werden krankhaft, sobald man versucht genau die Anteile von sich selbst zu verstecken, die in der Gesellschaft nicht erwünscht sind.
Sich einfach nicht melden. Termine verpassen. Schroff oder wütend sein. Extrem traurig sein oder sich extrem unbedacht - „verrückt“ - verhalten.
Alles was „gesunde“ Menschen an der Stelle raus lassen wo es hin gehört. Nämlich in dem Moment wenn es passiert, wenn das Bedürfnis da ist.
Und nicht ansammeln und ansammeln bis der Crash kommt...
Egal was die Wahrheit ist:
Ich bin froh dass ich heute trotz allem nicht mehr trinken, fressen und kotzen muss.
Und die schlimmsten Gedanken die mich heimsuchen eben nur Gedanken sind....




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