Wenn Liebe und Angst laufen lernen
- Leo

- 3. März 2023
- 3 Min. Lesezeit

Eine Woche voller emotionaler Achterbahnfahrten liegt hinter mir.
All diese Tage habe ich irgendwie gerade so überstanden ohne mich irgendwie mit Fressen, Kotzen oder anderen Mitteln wegmachen zu müssen.
Die 6-stündige MPU, während der ich alle meine Alkoholvergehen und mein ganzes beschissenes Leben der letzten 22 Jahre nochmal ungefiltert an mir vorüber ziehen musste.
Die Familienfeier, bei der so viele alte Erinnerungen in mir hoch kamen, vor allem auch wieder das Gefühl von tiefem unausgesprochenem Leid, das im Raum schwebt, das aber keiner benennt – doch ich kann es fühlen und es erdrückt mich.
Neue Begebenheiten im Job, die mir eigentlich Motivation und Sicherheit spenden sollten. Denn ich hatte erneut den Mut und die Kraft, Dinge anzusprechen, die mir auf der Seele lagen – mit erstaunlich positiver Rückmeldung.
Außerdem zahlreiche Gespräche mit Freundinnen, die dasselbe durchhaben wie ich, die mir ebenfalls Mut, Kraft und Hoffnung zusprechen.
Und doch schaffe ich es einfach nicht all diese guten und wichtigen Botschaften wirklich anzunehmen. In meinem Kopf und meinem Bauch überwiegen immer die Dinge, die gerade noch nicht laufen.
Was dagegen immer läuft, sind meine Beine. Sie sind rastlos und lassen mich vor meiner Angst davon rennen, kilometerweit durch die Pampa.
Jeder Mensch ist mir gerade zuviel. Selbst Treffen mit Freundinnen, denen ich mich nah und verbunden fühle, strengen mich an. Ich möchte eine gute Zuhörerin sein, aber gefühlt gelingt es mir nicht.
Mein linkes Bein schmerzt seit Tagen vom Po bis in die Sohle.
Mein Körper schreit immerwährend nach Essen, besonders auch am Abend und in der Nacht.
Ich fühle mich unendlich müde und erschöpft. Mein ganzes System scheint sich nun für all die Überlastung und den Mangel der letzten Jahre zu rächen. Und ich weigere mich zu akzeptieren, dass es so ist und ich diese Ruhephase brauche.
Mein Kopf schreit ich solle aufstehen, was erledigen, eine Runde laufen, irgendwas sinnvolles machen.
Mein Herz sehnt sich nach Dunkelheit, Schlaf, Ruhe und Wärme
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habe Papa angerufen dass ich nicht mit nach Dresden will, weil mir gerade alles zuviel ist. Ich hatte ihm zum Geburtstag Eintrittskarten für eine Comedyshow geschenkt. Fühle mich als Versagerin. Er meint er sei erleichtert weil er auch keine richtige Lust hatte.
Wir sind beide echte Rentner und Heimscheißer geworden, was mir nicht behagt aber ich muss es mir wohl eingestehen.
Die Karten konnte ich am gleichen Abend übers Internet verticken, bin erleichtert.
Außerdem hatte ich ein sehr aufschlussreiches Telefonat mit Oma.
Sie erzählte von ihrer schweren Lungenkrankheit die sich von ihren 20ern bis in ihre 40er zog. Also genau durch die gesamte Kindheit und Jugend meiner Mama.
Und weil die auch ein Heimscheißer war, bekam sie das sicher alles genau mit zuhause. Sowie ich die gleiche Angst, die gleiche Selbstabwertung, den gleichen permanenten Ausnahmezustand meiner Mutter mit verfolgen musste, als sie nach der Wende selbst so krank wurde und ich noch klein war.
Mir wird klar, welchen Impact es auf ein Kind hat, wenn seine Mama sich die ganzen Jahre über so schrecklich fühlt wegen ihres aufgeschwemmten Körpers durch die Medikamente, der permanenten Angst vor der eigenen Krankheit, vor Ausbrüchen und Rückfällen. Wenn sie glaubt, der hässlichste Mensch der Welt zu sein. Außerdem die zusätzliche Selbstabwertung, weil sie dadruch nicht mehr arbeiten kann.
Was sagen die Leute?
Was macht es mit einem Menschen wenn er sich all seiner Werte, der eigenen Schönheit und Leistungsfähigkeit durch einen Körper beraubt sieht, den er nicht mehr kontrollieren kann?
Versucht diese Mtutter dann in Ermangelung der eigenen Kontrolle all ihr Augenmerk und die verbliebene Kontrollmöglichkeit auf das eigene Kind zu lenken? Um zu vermeiden dass sie so dasteht als hätte sie gar nichts im Griff? Um allen zu zeigen dass sie trotz der eigenen Unzulänglichkeiten eine perfekte Mutter sein kann? Um zu erreichen, dass es den eigenen Kindern einmal besser gehen möge als ihr selbst? Oder ist es wirklich die Liebe, die sie sich selbst nicht zu geben vermag, wohl aber einem anderen Menschen?
Und kann diese Liebe dann für dieses Kind einfach auch erdrückend und zuviel sein und diesen kleinen Menschen der Fähigkeit und Möglichkeit berauben, eigene Erfahrungen zu machen, eigene Entscheidungen zu treffen und sich selbst zu definieren außerhalb des „Kindseins“?
Überträgt sich nicht all die Angst und Selbstverachtung unterbewußt auf diesen kleinen Menschen, weil er nicht weiß was genau da passiert, aber spürt, dass etwas nicht stimmt und sodann alles tut, um nicht ein zusätzlicher Stör- und Angstfaktor im Leben dieser labilen Mutter zu sein?
Dieser kleine Mensch wird vermutlich alles tun, um seiner Mutter ein liebes und vorzeigbares Kind zu sein und sie stolz zu machen, damit sie ja nicht wieder krank wird und noch mehr leiden muss...
Und sich selbst dabei so verbiegen müssen, dass es irgendwann verlernt, ein eigener Mensch zu sein...




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