Wenn die Bomben fallen ...
- Leo

- 18. Feb. 2023
- 4 Min. Lesezeit

Lange habe ich mich unverstanden gefühlt von meinen Großeltern.
Aber habe ich mal richtig zugehört und nachgefragt, wenn sie ihre "alten Geschichten" erzählten?
Nicht wirklich.
Immer wenn sich die Anekdoten zum zig-sten Mal wiederholten, schaltete ich innerlich meistens ab. Oder gehe auf Kontra.
Von einer Freundin erhielt ich kürzlich einen wertvollen Tipp:
Die entscheidende Frage ist nicht, wann, wo und mit wem etwas passiert ist.
Die wichtige Frage: Wie hast du dich in dieser Situation gefühlt? Warum ist dir diese Geschichte gerade so wichtig?
Also traute ich mich heute mal nachzufragen, als wieder vom Krieg, von der Politik und von der Wendezeit schwadroniert wurde.
Opa, welche von diesen ganzen Zeiten war denn für dich die schlimmste und warum? Wie hast du dich gefühlt in dieser Zeit?
Die Antwort:
Seine Kindheit um 1945. Er war 7 Jahre alt in den letzten Kriegstagen. Er sehe heute noch die Toten vor sich. Die schreienden Frauen am Bus, der die Zivilisten abholen und in Sicherheit bringen sollte. Seine Mutter zog ihn zurück. Sie stiegen nicht ein. Dieser Bus kam nie am Ziel an. Er wurde einige Stunden später zerbombt. Genau wie sein Geburtshaus, seine Schule und die halbe Stadt. Er floh mit seiner Mutter und den zwei Brüdern zu Fuß 60 km entfernt zu den Verwandten. Auf den Flaks an den Straßenrändern hingen tote Soldaten, vermutlich war Munition fehlgezündet. Ein Fahrradfahrer lag mit umgeschnalltem Gewehr längs auf dem zertrümmerten Gehweg. Das fahle Gesicht der Leiche hätte er heute noch genau vor Augen.
Viele Kinder sammelten zum Spaß Reste von Granaten und rissen sich dabei Gliedmaßen ab, weil einige noch scharf waren. Nächtlicher Fliegeralarm war an der Tagesordnung. In der Schule wurde der Unterricht oft nach der ersten Stunde abgebrochen weil wieder die Sirenen heulten. Wenn er heim kam wußte er nie ob und wann wieder eine Bombe fällt.
Wenig später kamen die Russen. Suchten das bereits in Trümmern liegenden Haus nach Wertsachen ab, verschwanden wieder. Frauen wurden vergewaltigt, Kinder verschleppt.
Sein Vater fiel in den letzten Kriegstagen an der russischen Front.
Ich fragte ihn, ob er sich deshalb jedesmal so aufregt über die aktuelle Politik, die dämlichen Grünen, die vielen Ausländer und die unfähige Regierung.
Ich fragte ihn, ob er Angst hat. Angst, dass alles was er sich in den letzten Jahrzehnten mühevoll erschaffen und erhalten hat – sein Haus, seinen Garten, seine Gesundheit, seine Ehe – nun kaputt geht weil ein Politiker der diese Zeit nicht miterlebt hat Entscheidungen trifft die keiner seiner Generation nachvollziehen kann.
Ja. Ich habe Angst. Wir haben mit Kuba schon mal in so einer Lage gesteckt. Kalter Krieg. Gorbi hat uns den Arsch gerettet. Aber heute gibt es keinen mehr von dem Kaliber.
Was will die junge Frau von den Grünen über die Russen wissen?
Woher soll die Ahnung haben? Aus Büchern? Kann man Krieg aus Büchern lernen? Wohl kaum.
Ich verstehe plötzlich meinen Opa.
Meine Wut über seine Engstirnigkeit weicht einem tiefen Mitgefühl.
Er hat kein Frauenproblem. Oder ist ein politischer Nörgler.
Er hat schlicht und einfach Angst.
Gern würde ich ihm antworten, wie gut ich das kenne.
Junge Menschen, die ihr Wissen über „Krieg“ aus Büchern haben und dann entscheiden sollen (und müssen) was richtig und was falsch ist für andere Menschen, für Betroffene und deren Familien in einer Krise.
All meine Ärzte und Therapeuten hatten ihr Wissen aus Büchern und aus Gesprächen mit Betroffenen und Angehörigen. Mit Veteranen und Überlebenden.
Aber es ist nicht dasselbe, darüber zu hören und zu sprechen, als wenn man diesen „Krieg im Kopf“ und den Kampf der Familie selbst durchlebt hat.
Aus nächster Nähe. Als Soldat mitten an der Front. Und zwar auf beiden Seiten. Da gibt es keine Gewinner. Da gibt es nur Verlierer. Ebenfalls auf beiden Seiten.
Eine Flucht ist sinnlos. Denn kein Ziel wäre sicher. Und die Zerstörung schon viel zu groß.
Wie lange habe ich innerlich immer auf meiner gepackten Tasche gesessen als Kind. Weil jederzeit wieder ein Anruf kommen konnte: Mama ist wieder in der Klapse. Du kommst jetzt zu uns. Oder draußen vor der Kinderzimmertür wieder der Krieg meiner Eltern tobte. Bomben fielen in meinem Kopf. Es war laut. Es herrschte Zerstörung. Zurück blieben Trümmer. Das tote Gesicht meiner Mutter wenn sie wieder in der Depression versunken oder mit ihren Tabletten vollgepumpt war. Das bleiche Gesicht meiner zermürbten Großeltern, wenn sie mal wieder von einem Klinikbesuch zurück kamen. Die Verwandten, die sich an den Überresten aus der Wohnung meiner Mutter bedienten und mit altem Zwiebelmustergeschirr verschwanden, bevor wir die Wohnung auflösten, weil sie sich dort irgendwann mit ihren Tabletten selbst umgebracht hatte.
Mein Hass auf all die Ärzte und Kliniken und Therapeuten, die keine Ahnung haben wie man es richtig händeln und solchen Menschen besser helfen kann, den Krieg gegen sich selbst zu beenden, bevor es auf allen Seiten nur Tote und Verwundete und Ruinen gibt.
Dieser Hass entspricht dem Hass meines Opas, wenn er auf die Politiker wettert.
Weil wir beide im Grund keine Ahnung haben, wie man es besser machen sollte. Das alles ist zu groß für einen Menschen.
Warum verhandelnd die nicht gleich?
Warum muss es immer erst Kanonen knallen und Tote geben, bevor die sich an einen Tisch setzen? schimpft der Opa.
Ich denke: Warum soll ein Land, die große Zelle es denn besser können als eine Familie, die kleinste Zelle?
Warum musste sich meine Mutter erst umbringen und ich betrunken 13 Meter vom Balkon fallen und fast sterben, damit ihr bereit seit wieder mit meinem Vater zu sprechen und wir heute an Weihnachten zusammen an einem Tisch sitzen können?
Kalter Krieg mitten unter uns. So viele Jahre...
Ich sage nichts. Bin froh darüber dass wir endlich offen reden können.
Ich will die Wut nicht spüren die hoch kommt weil ich mich dafür schäme.
Jeder Krieg hinterlässt seine Ruinen.
Im besten Fall nimmt man daraus das Feuer, nicht die Asche, und baut alles besser wieder auf.
Opa schweigt. Opa zeigt keine Gefühle. Er kotzt sie weder aus noch trinkt er Alkohol.
Er schluckt alles "trocken" runter.
Er geht dann später dafür nochmal in den Garten. Holz hacken.
Manchmal spielt er auch Akkordeon.
Und Oma geht und gießt die Blumen.




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