Immer wieder neu
- Leo

- 8. Feb. 2023
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 10. Feb. 2023

Wie kann man einem Menschen helfen, der abhängig ist, es aber nicht (ein)sieht.
Hätte ich zu einem früheren Zeitpunkt daran geglaubt, dass es dieses eine rettende Programm, diesen einen Lehrer, diesen einen Coach gibt was mir hilft, endlich einen Ausweg aus meinen Abhängigkeiten zu finden?
Ja und Nein.
Ich habe mir immer gewünscht, dass jemand mich an die Hand nimmt und mir zeigt wo entlang und mit welchen genauen Schritten ich den Ausweg finden kann.
Und doch hätte ich ihm nicht vertraut. Weil ich niemandem mehr vertraue. Zumindest keinem Menschen.
Ich habe mich zu oft verraten, betrogen, fehlgesteuert, übergriffig behandelt und unverstanden gefühlt. Deshalb habe ich die Tür zu meinem Herzen und meinem inneren Kern vor langer Zeit geschlossen.
Niemand sollte mich je wieder verletzen oder verlassen können. Das wollte ich erreichen, indem ich erst gar keinen mehr rein gelassen habe. Super Lösung dachte ich.
Dasselbe habe ich mit all meinen Gefühlen getan. Weg gedrückt. Ausgesperrt. Runtersgespült. In der Kehle. Im Klo. Und damit danach noch irgendwas da ist, einen Haufen leeren Müll wieder in das Loch gestopft. Kranke Menschen. Zuviel Arbeit. Tausend selbst auferlegt Termine und Verpflichtungen, um Zeit zu füllen. Um die Leere zu füllen. Um mich zu füllen.
Jahrelang war ich meistens so voll gesoffen, dass ich nicht mehr spüren musste, wie leer ich eigentlich bin.
Nachdem ich aufgehört habe zu trinken, schwenkte ich um auf das Vollstopfen mit Essen, um nichts mehr fühlen zu müssen.
Der Alkohol hatte mir meine Macht mich selbst zu kontrollieren geraubt.
Als verkopfter und kontrollierter Mensch hatte ich das eine Zeit lang gebraucht, um meine eigenen rigiden Lebensentwurf irgendwie zu überleben. Es war der Ausgleich – die Befreiung von Hemmungen, eigenen Fesseln und auferlegten Zwängen, von Fremdbestimmung und Demütigung.
Als diese Demütigung zunehmend nicht mehr von der Umwelt, sondern durch mein eigenes Verhalten stattfand und ich mich immer wieder in Situationen wiederfand, in denen mir klar wurde, dass ich meine eigene Freiheit und die Kontrolle völlig verlieren werde, wenn ich so weiter mache, konnte ich aufhören zu trinken.
Anfangs war ich begeistert von der neu gewonnenen Freiheit und allem, was mir damit wieder möglich war.
Ich erlangte meinen Stolz, meine Anerkennung, meine Arbeitskraft, meine Leistunsgfähigkeit und Verlässlichkeit endlich nach Jahrzehnten der Aufopferung und Demutshaltung gegenüber anderen endlich zurück.
Erst viel später wurde mir bewußt: Ich hatte einfach nur meinen Penner-Mantel gegen einen anderen alten Hut ausgetauscht.
Der stand mir besser, weil ich ihn schon kannte und unbedingt zurück haben wollte.
Den Hut nämlich, unter dem viel Klugheit, Wissen, Kompetenz, Zuverlässigkeit, Würde und Nächstenliebe steckte.
Ich war wieder jemand.
Ich war wieder ich.
Dachte ich.
Und ja, schon an diesesm Punkt gabe es immer wieder kleine Entwicklungen und Schritte in eine neue Richtung.
Mehr Selbstbewußtsein, mehr eigene Freiheit, mehr Kraft für selbst bestimmte Ziele und Wünsche. Und auch immer mehr Vertrauen auf eine höhere Führung in Form meiner eigenen Intuition.
Doch gab es auch hier immer noch tausend Baustellen „unter Tage“ die ich lange nicht erkannt habe.
Und mich wunderte, warum mein schönes neues „Haus“ immer wieder zusammenbrach.
In Form von Ess-Brech-Anfällen, Einkaufs- und Kochorgien.
Vor allem aber durch das ständige Gefühl eines inneren Getriebenseins, ständigen selbstabwertenden Gedanken und dem immer währenden Gefühl immer irgendwas müssen zu müssen.
Mein Tag und mein Kopf waren so voll, dass ich gar nicht gemerkt habe, wie leer ich eigentlich immer noch bin.
Ich hörte täglich unzählige Podcasts zum Thema Sucht, Persönlichkeitsentwicklung, Traumaheilung und Mindset-Coaching, in dem verzweifelten Versuch meinen Mangel an Fühlen können mit Wissen zu ersetzen. Immer in der Hoffnung: Wenn ich erst genug verstehe und weiß, wo das alles her kommt, dann schaffe ich es auszusteigen und endlich bei mir anzukommen. Im Jetzt.
Und bedingt war das auch hilfreich. All die Geschichten über die Erfolge anderer, ihr Leben wieder zu meistern, und zwar nicht nur oberflächlich sondern tief im Inneren, diese Geschichten begeisterten mich und motivierten täglich neu. All die tollen Erfahrungen die andere gemacht hatten, indem sie Ihre Abhängigkeiten und alten Muster los ließen gaben mir Kraft und Hoffnung.
Und doch fiel ich immer tiefer in mein altes Muster – das des Vergleichens und der Kopflastigkeit.
Nach dem Motto: Wenn die oder der das so und so geschafft haben, dann muss ich das auch genaus so machen. Bzw. wenn so vielen das und das geholfen hat, kann das ja nicht falsch sein.
Ich probierte dies und jenes und scheiterte doch immer wieder weil irgendwie nichts davon wirklich mir selbst entsprach. Gleichzeitig lernte ich besser zuzuhören, weniger zu unterbrechen, überlegter zu sprechen und mir Stück für Stück von jedem der Sprecher und der Betroffenen ein Teil ihres Weges mitzunehmen.
Immer noch ist es eine Herausforderung, bei all den vielen Wegen und Informationen kein Schwamm zu sein, sondern ein Filter. Ich kann nicht wissen, welche Informationen für mich hilfreich und wertvoll sind. Der Versuch dieses Filtern mit Hilfe bestimmter Vorgaben und meinem Verstand auszusortieren war nicht erfolgreich. Ich habe verstanden, dass ich alles Gesagte und Geschriebene nur durch einen einzigen Filter wirklich klar für mich sortieren kann.
Und dieser Filter ist meine Intuition. Mein Herz. Meine Gefühle.
Ich musste lernen, zu üben, wie sich etwas für mich anfühlt.
Fühlt es sich stimmig an oder stößt es mich ab?
Und warum stößt es mich ab?
Aus einem alten Reflex heraus oder aus meinem wahren Kern heraus? Das ist aktuell die größte Herausforderung für mich. Denn ich habe das Fühlen so lange nicht benutzt, dass ich es verlernt habe.
Ich hoffe und wünsche mir, dass mir diese Gabe wieder geschenkt wird.
Und ich werde anfangen, auch dafür zu beten, auch wenn mir dieses Wort allein und die Vorstellung daran noch viel Unbehagen bereiten. Aber das ist das beste Beispiel für ein Gefühl, dass vermutlich aus einem alten Vorurteil her rührt und von dem ich mich nicht beirren lassen sollte. Es ist ein Gefühl der Ablehnung aus Angst, Scham und Unsicherheit heraus.
Ich habe gelernt: Das Herz und die wahre Intution sprechen niemals aus der Angst heraus.
Sondern immer aus der Freude und Liebe.
Wenn ich lerne, Dinge zu tun, Menschen zu begegnen und Gelerntes umzusetzen aus der Freude heraus und der Hoffnung, dass es mir hilft, und nicht aus der Angst heraus, dass sonst etwas ganz Schlimmes passiert, dann werde ich erfolgreich sein.




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