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Beitrag: Blog2 Post

Ich hasse Sonntagsspaziergang, Kompott und Wetterbericht

  • Autorenbild: Leo
    Leo
  • 22. Jan. 2023
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 10. Feb. 2023

Das Wetter passt zu meinem Gemütszustand

Heute Nachmittag bin ich innerlich fast explodiert, als ich bei meinen Großeltern saß, mit ihnen ein wirklich wichtiges Thema in Ruhe durchsprechen wollte und plötzlich unerwartet Besuch rein schneite.


Ich habe mich schnell gleich verzogen - weil ich wusste was kommt und dass ich darauf so gar keine Lust habe. Gespräche über Wetter, Politik und den Garten....


Zu guter letzt kam noch der tolle Kommentar „Na wenn du jetzt gehst, können wir ja wenigstens den Sekt raus holen.“

Ohne Worte...


Nachdem ich mich mit 60 min Gewaltmarsch durch den Schnee und drei Schachteln Tankstellenkeksen abreagiert hatte, stieß ich gerade auf einen Text, den ich vor einem halben Jahr geschrieben hatte in einer ähnlichen  „Sonntagssituation.


Dieser Text führt mir einmal mehr vor Augen, warum es so wichtig ist, diese Aufzeichnungen in emotionalen Momenten zu machen, um mich schlussendlich selbst zu verstehen.


Auch wenn ich täglich bemüht bin, mein Denken und handeln zu ändern, Situationen aus einer erwachsenen Perspektive zu betrachten und nicht mehr wie ein verletztes Kind zu reagieren, fällt mir das unheimlich schwer, wenn bestimmte Knöpfe gedrückt werden.


Mickrige 5 Prozent Verstand versuchen dann gegen gigantische 95 Prozent unterbewusste Automatismen anzukämpfen.

David „klares Denken“ gegen Goliath „Reptilienhirn“ hat dabei noch zu selten eine echte Chance.


Die einzige Möglichkeit, das langfristig zu ändern, ist bewusst das Gegenteil dessen zu tun was ich sonst immer  getan habe.

Immer und immer wieder, solange bis diese neue Autobahn im System breiter und bequemer  ist als die alte.


Was für ein Kraftakt.

Und das zum Sonntag ...


Das ist mir zu anstrengend!

Heut ist doch schließlich Feiertag.


Da hab ich mir doch Kekse verdient - die anderen trinken ja dafür Sekt...

Schreit mein inneres Kind trotzig und rennt zur Tanke.

Und die erwachsene Nici schüttelt stumm den Kopf über den Müllsack voller Kekspapier...


Hier ist der Text/ 16.10.2022


Ich hasse die Worte:


Sonntagsbesuch, Natur, Sonnenschein, Piknick, Ausflug, Familienfeier, Vesper.

Gartenarbeit, Blumenpracht, Wetterbericht. Und Kompott.


Wenn ich das höre, denke ich sofort an die Zeit meiner Kindheit und Jugend zurück.


An diese Zeit, die ich immer noch mit viel Streit, Schmerz, Zwang, Wut, Ohnmacht und Enttäuschung verbinde.


Gejammer. Diskussionen. Stress.

Hektik. Überforderung


Nahezu täglich Überreizung bis zur Belastungsgrenze und darüber hinaus.

Emotional, seelisch, in Folge dessen später auch körperlich.


Mein inneres Kind schrie unentwegt:


Es nervt!

Es strengt an!

Ich will hier nicht sein!

Ich will meine Ruhe!

Ich will das nicht!

Ich kann nicht mehr!

Ihr geht mir auf den Sack!

Warum muss ich mir das antun?

Interessiert mich nicht!

Macht mir keinen Spaß!

Überfordert mich!

Langweilt mich!

Ekelt mich an!

Tut mir weh!


Jede Woche derselbe Scheiss.

Mutter gegen Vater.

Eine Oma gegen die andere.

Oma gegen Mutter.

Opa gegen Vater ...


Zuletzt jeder gegen jeden.


Aber nach außen - beim Sonntagsspaziergang, bei Ausflügen, wenn Besuch kam oder wenn wir eingeladen waren - da sollte alles schön sein.


Keiner sollte was merken.

Keiner sollte hinter die Fassade sehen.


Eitel Sonnenschein.

Sonntagsausflug mit Piknick.

Braten mit Kompott.

Und Fruchtbowle auf dem Tisch.


Wenn alle so tun mussten, als würden sie sich gut verstehen, obwohl es selten so war, wurde besonders viel über belanglosen Mist geredet.


Übers Wetter, über den Garten, über den Kompost. Dazu Sekt, Eierlikör und Pralinen.


Hauptsache keine heiklen Themen anschneiden, damit es nicht wieder kriselt...und keiner was merkt.


Schließlich ist ja Sonntag. Und bei Besuch- da macht man sowas einfach nicht.


Es gab kaum Zeiten, in denen wirkliche Harmonie herrschte.


Ich empfand nichts wirklich echt in dieser Zeit.


Die Erwachsenen waren nicht echt.

Ich war nicht echt.


Irgendwann dann endlich der Ausbruch...


Ich suchte und fand Menschen, die diesen ganzen Familien- und StiNo-Scheiss genauso ätzend und anstrengend fanden wie ich.


Und die mir einen Weg da raus versprachen.


Das war meine Hoffnung.

Doch es kam anders.


Ich verkaufte meine Seele an sie.


Ich prostituierte mich emotional für den Traum von Freiheit, stieg aber tatsächlich nur von einer Abhängigkeitsstruktur auf die nächste um.


Die Retter entpuppten sich als dominante, geringschätzige, cholerische und narzisstische Menschen, die mich mit Zuckerbrot und Peitsche glauben und fühlen liessen, sie würden mich schätzen und verstehen, die aber selbst total krank waren und einfach nur das passende genauso kranke Gegenstück für sich brauchten, um selbst nicht abzustürzen.


Rückblickend waren all meine Jobs und Beziehungen jedesmal von gegenseitiger Abhängigkeit getragene „Dauerprostitutionen“.


Ich wollte nicht und tat es doch.

Immer wieder.

Bis an die Kotzgrenze-

Und weit darüber hinaus.


Alles um zu überleben und nicht zurück zu

müssen in den alten Scheiss, der mir in der Erinnerung noch viel schlimmer erschien.


Um ja nie wieder abhängig zu sein von meiner Familie, die mir (aus meiner damaligen Sicht) so weh getan und mich viel zu oft enttäuscht hatte.


Um zu gefallen.

Um zu brillieren.

Um allen zu beweisen, dass ich es allein schaffe  - und das sogar richtig gut.


Und dass ich dazu keinen brauche, der mir sagt, wie ich  es anders oder besser machen soll.


Besonders keine Familie, die sich selbst nicht geschissen kriegt.


Ich begab mich in fremde Abhängigkeiten, um der ursprünglichen zu entkommen, die mich über Jahre hinweg nur verletzt hatte.


Und ich steckte irgendwann darin fest, weil ich nun auch noch eine inzwischen manifestierte Ess- und Alkoholsucht finanzieren musste - Betäubungsmittel, die ich brauchte, um all diesen  Schmerzen zu überleben.


Ein Teufelskreis.


Mehr als 20 Jahre sollte es dauern, bis ich begriff, dass es einen Schlüssel gibt, der mir den Ausstieg ermöglicht.


Und dass dieser nicht in der Hand anderer Menschen liegt und auch nicht mit Geld zu kaufen ist...



 
 
 

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