Die Welle kommt die Welle geht
- Leo

- 10. Feb. 2023
- 3 Min. Lesezeit

Sie bricht über mir. Eine gigantische Welle aus Scham, Schuld und Reue.
Unangekündigt und mit voller Wucht.
Sie überflutet meine Gedanken und ich habe das Gefühl darin zu ertrinken.
Noch vor wenigen Monaten wäre das der Moment gewesen, in dem ich all diese Gefühle wieder herunter gespült hätte mit der ersten Flasche Rotwein am Morgen.Oder raus gekotzt, ins Klo, und weg gespült in den Abfluss.Manchmal war es auch so viel was mir da „im Hals“ steckte, dass ich gar nichts mehr runter bekommen habe und einfach nur liegen geblieben bin in meinem Sumpf.
Oder weg gelaufen.
Egal wie das Wetter war, egal wie viel Schmerzen ich hatte, egal wie kaputt sich mein Körper und meine Seele anfühlten – einfach schnell weg, raus, laufen, laufen, weg von mir selbst. Ich will diese Gefühle in meiner Kehle ausspucken, die mir die Luft zum Atmen nehmen.Ich will sie runter spülen und weg drücken.
Ich will weg laufen vor ihnen, damit sie mich nicht einholen können.
Ich wache heute auf nach einem schlimmen Traum, der all die alten Geschehnisse und Gefühle wieder nach oben gebracht hat und weiß nicht was ich tun soll.
Kurz überlege ich.
Und dann weiß ich wieder, was ich tun muss.
Es ist vorbei. Ich bin nicht mehr dort wo ich war. Ich bin im JETZT.Und im JETZT habe ich Wege, damit anders umzugehen.
Im JETZT kann ich SCHWIMMEN in diesen Gefühlen. Weil ich einen ANKER habe.
Einen RETTUNGSRING der mir zugeworfen wird und mich ÜBER WASSER hält bis die Sturmflut abebbt.
Ich rufe meinen Vater an und erzähle es ihm.
Alles fließt aus mir raus. All das Elend, die Schuld und die Scham. Ich rufe zwei Freundinnen aus meinem Selbsthilfeprogramm an und erzähle ihnen alles – und es fließt und fließt. Die Tränen, die Schuld, die Scham, die Selbstvorwürfe fließen aus mir heraus.
Und es tut so unendlich gut, dass alles aus mir heraus zu bekommen, ohne trinken, essen oder kotzen zu müssen. Ich fühle mich erleichtert. Leicht.
Aber gleichzeitig erfüllt von einer Wärme und dem Verständnis der anderen, das in mich hinein kriecht und mich umhüllt wie eine warme Decke.
Das war es, was ich so lange geSUCHT hatte.Erleichterung. Sicherheit. Ordnung. Schutz.Wärme. Mitgefühl.
Selbstmitgefühl.
Jemand der mir zuhört. Mich in den Arm nimmt. Mir das Gefühl gibt, dass alles was ist sein darf und ich nicht falsch oder schwach bin, wenn ich so fühle.
Der Alkohol, das Essen, das Kotze, das Weglaufen – es machte mich leer. Es drückte weg. Es betäubte alles und machte die Schmerzen für eine Weile erträglich. Aber auch alles andere war weg, raus aus mir. Alles was mir Halt, Geborgenheit und Sicherheit gab. Alle guten Gefühle, all das was mich ausmacht, all der Selbstwert, Stolz und die Liebe zu mir selbst und anderen. Weggedrückt. Ausgekotzt. Davongestoßen. Es ist vorbei, hat Papa gesagt. Und dass er stolz ist auf mich. Dass er sich freut, wie glücklich ich nun sein kann, da ich frei bin. Dass alles andere hinter uns liegt und wir uns freuen dürfen auf das was jetzt da ist und noch kommt.
Du darfst all das fühlen und du darfst da hindurch gehen ohne es irgendwie zu kompensieren. Alles muss kommen und gehen dürfen. Und du bist jetzt stark genug das alles da sein zu lassen ohne es wegzumachen.
Leg den Arm um dich selbst. Pack dich in eine warme Decke und sei gut zu dir. Liebevoll. Warm.
Hat meine Mentorin gesagt. Sie weiß wovon ich rede, denn sie ist selbst diesen langen weg gegangen.
Ich kann ihr deshalb vertrauen und glauben.
Ich kann es langsam annehmen und ausprobieren.
Nun sitze ich hier. Habe ein Frühstück im Bauch, eine Tasse Kaffee vor mir und mich in die Heizdecke eingemummelt und fühle mich ...ja wie eigentlich?!
Noch etwas schwach, aber irgendwie...friedlich. Sicher. Warm.
Ich kann noch nicht recht beschreiben, was ich fühle.
Aber das Beste und Wichtigste gerade ist:
Ich kann wieder fühlen.




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