Von der Unfähigkeit einfach mal nichts zu tun - und was hat das mit ED zutun
- 11. Dez. 2022
- 4 Min. Lesezeit

Ich bin entspannungsbehindert.
Das heißt, ich bin unfähig, einfach mal einen Tag lang – oder mehrere- auf meinem Sofa zu hocken, was zu lesen, zu snacken, stumpfsinnige Filme zu suchten und ab und zu aus dem Fenster zu gucken. Es funktioniert nicht. Ich sitze keine 2 Minuten und fühl mich faul, träge und schlecht. Dann fällt mir ein, was ich noch alles machen könnte.
Wo kommt das her?
Mein Kopf blökt mich an:
"Stimmt - den Film kannst du auch nebenbei laufen lassen. Vielleicht kannst du auch gleich noch mal im Internet gucken wegen Weihnachtsgeschenken, die Freundin anrufen, die Wäsche machen, ... ach und Staub müsste gewischt werden, denn ich krieg ja vielleicht noch Besuch. Was ist eigentlich mit Kochen - und Einkaufen, und Blumen gießen?
Und diesen Podcast musst du endlich mal zu Ende hören, den Ratgeber lesen, die Post holen....Und draußen an der frischen Luft warst du auch noch nicht, beweg dich doch endlich mal. Und iß mehr Vitamine, das braucht der Körper, nicht dieses süße Zeug!“
Ich halte mir die Ohren zu und schreie:
Lass mich - ich will jetzt einfach mal GAAAAR NICHTS!
Fachleute sagen, permanenter Akivismus ist typisch bei Essstörungen.
ED hält erst dann die Klappe, wenn ich endlich aufstehe und was mache was er sagt, oder wenn er was zu Fressen kriegt.
Seid ich mich damit beschäftige, wer ihn eigentlich geboren hat, diesen ED, wird mir immer mehr klar:
ED blökt genau das, was meine Familie immer geblökt hat –
Zum Teil sehr offen, aber zum Großteil durch pures Vorleben.
Müßigkeit ist aller Laster Anfang.
Von nichts kommt nichts.
Wer rastet der rostet
Du musst dich ablenken wenn's dir nicht gut geht.
Bissl was muss immer werden.
Jetzt hamma aber viel gesessen - los, Verdauungsspaziergang!
Heut war ich sooo faul (Zitat Oma nachdem sie mit ihren 80 Jahren 6 Stunden lang ihren 2000qm Nutzgarten umgegraben und 20 Gläser Beeren eingelegt hat)
Und so weiter und so fort…
Immer musste irgendwas "gearbeitet" werden und wenn es nichts zu tun gab, suchte man sich halt was. Eben um beschäftigt zu sein.
Ich habe nie verstanden warum man
- Stofftaschentücher und Schlüpfer bügeln muss, wo man danach eh wieder rein rotzt und rein pupst
- sich tausend hässliche leere Kristallschälchen und Tontippel in die Anbauwand "Eiche brutal" stopft, die dann jede Woche fünfmal sortiert und abgestaubt werden müssen
- jeden Tag Tiere füttert, die man hinterher aufißt oder die gar nichts können als Fresen und Kacken
- im Schrebergarten Blumen pflanzt, die man dann gießen und pflücken und im Winter wieder „abräumen“ muss, obwohl zuhause in den Töpfen schon 300 hässliche Stück davon rumstehen.
Noch heute, wenn ich bei meiner Familie im Wohnzimmer sitze, muss irgendwer aufstehen und was holen. Oder die Blumen gießen. Oder die Katze füttern. Oder den Abwasch machen. Oder irgendwas im Schuppen rumwühlen.
Ein ordentlicher Haushalt und ein ordentlicher Garten – das war gesellschaftlich vermutlich hoch angesehen in der DDR und auch in den Generationen davor.
Im Gegensatz zu vor dem Fernseher sitzen und Süßigkeiten fressen.
Das machten nur Faule und Assis.
Dementsprechend stellte sich die Kindererziehung dar.
Wenn ich nicht grad Hausaufgaben machen, lernen oder irgendwas aufräumen musste, wurde ich zu irgendeiner anderen sinnlosen Tätigkeit genötigt. Ich hatte immer den Eindruck, meine Eltern und Großeltern konnten mich irgendwie nie "einfach nur sitzen" sehen.
Denen ist immer irgendeine Folter eingefallen, weil sie selbst nie still sitzen konnten.
Hier kannst du mitmachen beim Nüsse knacken/Äpfel lesen/Unkraut zupfen/Einkaufen/Treppe wischen/Taschentücher bügeln/Zwiebeln gießen/Kartoffelkäfer lesen ---was auch immer.
Es war so nervig - man hatte nirgends seine Ruhe.
Ich habe mich immer gefragt:
Warum zwingen die mich zu diesem ganzen Mist:
Sonntagsspaziergänge, Hausarbeit, Zimmer aufräumen, für die Schule lernen, die Tiere füttern, Gartenarbeit, blablabla...
Ich hab die Viecher doch nicht angeschafft. Und die ganzen Pflanzen auch nicht.
Ich will auch das Gemüse aus dem Garten nicht essen - das könnt ihr selbst essen,
Mir reicht Schokolade und Toast.
Ich will auch keine gebügelten Taschentücher - Tempos sind besser und nicht so ekelhaft klebrig in der Hosentasche - die schmeißt man nämlich einfach weg.
Dieser ganze Haushaltsmist wird doch sowieso völlig überbewertet.
Ich verstehe bis heute nicht , warum Menschen mehrmals in der Woche Wäsche waschen.
Wenn ich einen Pulli und eine Hose zweimal anhatte, mache ich den Riech-Test und wenn das Zeug nicht grad mufft wie ein Puma, kommt es auf DEN STUHL -dort wo alles hin kommt was noch nicht waschreif ist, aber auch nicht mehr in den Schrank darf - wegen meinem inneren Monk. Und ich lebe noch.
Ich brauche auch keine Tippel in der Anbauwand, weil ich keine Anbauwand habe.
Ich muss mein leeres Gästegeschirr nicht izur Schaus stellen, weil das nicht so Bombe aussieht, dass man es wie einen Pokal beäugen muss.
Und außerdem habe ich auch keine Gäste. Und wenn doch, dann bringen die ihr Essen selbst mit und wir essen aus Tupperdosen Müsli und Bananenbrot. Ohne Tischdecke!
Und ich find´s toll so!
Als Kind durfte ich immer erst tun was ich wollte, wenn ich bei dem bescheuerten Garten oder im Haushalt zur Genüge geholfen hatte.
Dann gab es Süßkram, Fernsehen, Ruhe, meine eigene Welt in meinem eigenen Zimmer.
Selbiger Prozess dann später in der Oberstufe - nach 10 Stunden Schule, Streß, Druck und Arbeit – endlichaufs Bett, Tür zu, Süßkram und RTL II.
Das war die Belohnung. Das war meine Oase. Meine Ruhezone.
Kein Vergnügen ohne Arbeit.
Von nix kommt nix.
Und TV und Süßkram als Ruheoase und Belohnung.
Das brennt sich ein ins Nervensystem bis ins Mark.
Und wenn im Hirn dieser Mist einmal so verknüpft ist, vor allem schon seit der Kindheit, dann ist es ein unglaublicher Kraftakt, sich diesen "Hirnschiss" später als Erwachsener wieder raus zu prügeln.
Die Tatsache, dass ich mir Gutes tun darf, mir Auszeiten nehmen und auch mal unvernünftig, ungesund und unnütz sein darf, ohne dass die Welt untergeht – und ohne dass ich es mir vorher „verdienen“ muss, existiert immer noch nicht wirklich in meiner Welt.
Auch nicht die Möglichkeit, dass das ganze unter Umständen auch funktioniert, ohne dass ich mir dabei Süssigkeiten bis zur Kotzgrenze reinstopfe.
Halt einfach mal die Fresse heut, ED.
Ich will chillen!
Na, da guckt er mich wieder blöde an und wedelt mit der Kekspackung…




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