Mein BULLSHIT-Partner "ED" - Gemeinsam gegen die Wand
- 2. Dez. 2022
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 9. Dez. 2022
ich möchte euch heute ED vorstellen.
Er war meine zweite große Liebe, nachdem die erste derbe in die Brüche ging.
Es ist Herbst 2022
Ein viertel Jahrhundert bin ich jetzt schon fest mit ED zusammen.
Silberhochzeit quasi.
Durch ED habe ich erfahren, wie fest zusammen eine Partnerschaft sich schweißen kann, wenn man gemeinsam durch die Hölle geht. Auch wenn der Partner scheiße ist und dich kaputt macht.
Solange man einen gemeinsamen Feind hat, funktioniert so eine "Beziehung".
Man erträgt zusammen den ganzen anderen Shit da draußen wesentlich einfacher als allein.
Dasselbe hat dann später auch in meiner Ehe "funktioniert", ebenso mit meinem cholerischen Chef und auch mit vielen anderen kaputten Typen in meinem Leben.
Bis sie mich völlig kaputt machten. ED blieb immer an meiner Seite. Er war der einzige der mich nie verlassen hat.
Und was man kennt, daran hält man fest, solange man nix besseres findet.
„ ED „ steht für „Eating Disorder“ - „Essstörung“
ED klingt nicht so ekelig, sondern eher flauschig-kauzig - wie das komische haarige Vieh aus der Adams-Family. Ich nenne ihn so, damit ich mich nicht so sehr vor mir selbst abgestoßen fühle.
Aber ED ist nicht flauschig.
Ganz und gar nicht.
Er ist erbarmungslos.
Er macht mir mein Leben immer wieder zur Hölle.
Ich stelle mir meinen ED männlich vor, weil er genauso übergriffig, dominant, ignorant, anwertend, maßlos selbstüberschätzend ist wie alle Männer, mit denen ich bisher eine längere intime Beziehung hatte. Und ich gleichzeitig hing ich an ihnen wie die Motte am Licht.
(#sorrynotsorry an die Männer der Leserschaft, doch leider ist das meine Wahrheit - so far...)
Weitere Parallelen zu den Ex-Partnern:
ED hat ständig was zu meckern.
Er mag die Öffentlichkeit nicht, aber will gleichzeitig die totale Kontrolle über mich ausüben.
Er taucht immer dann auf, wenn ich ihn am wenigsten gebrauchen kann.
Er tritt grundsätzlich immer dann besonders laut in Erscheinung, wenn es so richtig anstrengend und stressig wird, wenn ich mich auf irgendwas total freue oder wenn ich einfach nur mal meine Ruhe haben will. Jedesmal verdirbt er mir meine Pläne.
Man könnte ihn also auch mit einer anstrengenden Schwiegermutter oder einem unerzogenen Hund vergleichen - nur krasser eben.
Wenn es sowas wie ein „inneres Kind“ gibt, dann ist ED die „Arschlochkind“-Version davon (so nennt meine Freundin, die Erzieherin ist, diese Art von anstrengenden Kindern oft - es scheint sich also um einen Fachbegriff zu handeln).
Warum ich mich nicht von ED trenne
ED nervt zwar, aber er ist eben auch zu was nützlich.
Erklärungsversuch:
Gerade hat mir ein Freund ein Scherz-Video geschickt -
"Leih dir deinen eigenen Klimaaktivisten. Du kannst ihn einfach überall drauf kleben auf das, was dich grad nervt - dann hast du eine Ausrede, dort einen Bogen drum zu machen - zum Beispiel auf Rasenmäher, auf Schwiegermütter oder hässliche Kinderbilder."
Ich musste lachen - aber auch sofort an meinen ED denken,
Er klebt sich nämlich auch immer auf alles "drauf", worauf ich keinen Bock hab.
Nervige Arbeiten die mir nicht liegen - ED klebt sich drauf, dann muss ich mich nicht mehr mit dem Scheiß beschäftigen. Oder er hilft mir dabei, dann geht es leichter...
Langweilige Vorträge, anstrengende Kunden, nervige Termine auf dem Amt auf die ich keinen Bock hab - ED klebt sich drauf und ich muss die alle nicht mehr hören und sehen...weil ich dann mit ihm beschäftigt bin statt mit diesem Mist
Tausend Ideen in meinem Kopf und ich kann mich nicht entscheiden wo und wie und wann ich anfangen soll, kurz vorm Zusammenbruch und Verzweifeln - ED klebt seine Idee drauf: Erstmal Kühlschrank oder Netto. Dann bin ich entweder wieder "entspannter" und kann die Entscheidung treffen oder es ist mir einfach nur noch egal.
Ich befinde mich mit ED gerade offiziell im Trennungsjahr.
Ich habe die Scheidung eingereicht, aber das MINDSHIT-AMT muss wohl erst noch den richtigen Stempel für uns finden...
ED und ich haben in den letzten Monaten gemerkt, das wir uns nicht mehr viel zu geben haben.
Wir waren wohl wie ein typisches deutsches Ehepaar der Wendekrise.
Wir haben uns nicht geliebt, aber aneinander gewöhnt und voneinander profitiert.
Er hat mir Sicherheit, Halt und Struktur gegeben und mich beschützt, wenn ich selbst es nicht konnte.
Er hat für mich gesprochen, für mich gekämpft und mich beruhigt, wenn es mir nicht gut ging.
Er war immer da, wie ein Schatten, eine Schulter zum Anlehnen, ein Motor zum Antreiben, eine Stimme für meine stummen Schreie.
Gleichzeitig hat er mein Leben bestimmt, all meine Entscheidungen beeinflusst, mir ständig ein schlechtes Gewissen gemacht.
Er hat mich unsicher und wertlos fühlen lassen. Mich eingeschränkt und am Wachsen gehindert. Mir eingeredet, ich sei nicht gut genug, nicht stark genug, nicht fähig ohne ihn zu leben. Mich jeden Tag aufs Neue gedemütigt und verletzt.
Er hat mir Angst gemacht, um mich danach wieder zu trösten.
Immer alles mit Zuckerbrot und Peitsche...
Er hat dafür gesorgt, dass ich ausschließlich Menschen in mein Leben gelassen habe, die am selben Strang zogen wie er.
Und wenn die seinen Regeln widersprachen, hat er auch sie vergrault.
Er war mein Anker.
Meine Zuflucht.
Meine letzte Bastion, wenn alles im Außen wankte.
Er war der unsichtbare Partner, mit dem ich alle anderen Menschen in meinem Leben immer wieder betrogen habe.
Vor allem aber mich selbst
Ich weiß, es wird nicht leicht, diese Trennung. Ein verdammtes ON-OFF.
ED ist meine große Liebe und zugleich mein Endgegner.
ED ist Lord Voldemort für Buddisstin Potter.
Wir hassen uns und ziehen uns an.
Wir diskutieren, streiten, schreien, kämpfen wir auch richtig.
Jeden Tag.
Bis einer heult.
Ein einziges Drama.
Ab und zu gehen wir noch zusammen ins Bett.
Ich wache dann morgens auf, schaue ihn im Spiegel an und denke:
Scheisse- warum hast du es schon wieder getan.
Und fühle mich furchtbar...
Er hat noch so viel Macht über mich.
In den Jahren davor habe ich mich schon erfolgreich von einigen seiner Vorgängern getrennt - von dem Büronazi, dem Ex und dem Alk.
Bei ED wird es nochmal ne andere Hausnummer.
Weil er mich nach jeder Trennung immer wieder aufgefangen hat.
Denn wir hatten 25 gemeinsame Jahre. Die schmeißt man nicht mal eben so in die Tonne.
Ich kann ED nicht einfach von heut auf morgen einfach raus werfen.
Er ist inzwischen quasi biochemisch mit mir verwachsen.
Sein ewiges Gemecker hat sich wie ein Virus in meinem Hirn und meinen Ohren fest gesetzt. Seine Säuselei von Liebe aber auch.
Mindestens drei mal am Tag muss ich mir sein Genörgel anhören. Meistens noch öfter.
Du siehst so hässlich aus. Das schaffst du eh nicht. Guck dich doch mal an. Lächerlich deine Pläne. Bild dir bloß nichts ein. Das war mal wieder zuviel aka das war wieder viel zu wenig! Hab ich dir doch gleich gesagt. Du verarscht dich doch nur selbst. Werd erstmal erwachsen. Glaub nicht du bist was besseres. Du wirst immer mehr wie deine Mutter - fett, alt, träge und lächerlich! Du spinnst doch! Bleib lieber zuhause, das ist zuviel für dich.
Und so weiter.
Ich muss lernen es zu überhören, Gegenargumente zu setzen oder über sein Gefasel zu lachen.
Und ich muss lernen, meinen Tag ohne ihn zu gestalten.
Plötzlich ist so unendlich viel Raum da, den er vorher immer eingenommen hat.
Wir haben immer alles gemeinsam gemacht. IMMER. ALLES.
Chillen, Ausgehen, Arbeiten, Einschlafen, Einkaufen.
Er hat auf mich gewartet, zuhause, nach einem langen schlimmen grauen Tag, mich umarmt und gewärmt.
Er hat mir immer gesagt, dass alles gut wird. Bevor er mich dann wieder runter geputzt hat.
Ohne ihn ist alles komisch, anstrengend, manchmal einfach nur furchtbar doof.
Mit ihm aber auch.
Und richtig Schlafen kann ich auch nicht mehr, seit wir nur noch so selten kuscheln.
Das kostet gerade alles unglaublich viel Kraft.
Der gleiche Bullshit wie mit meinem Ex.
Nur dass nach ED keiner mehr wartet, als Ersatz.
Ich weiß, dass rigoroser Abstand der einzige Weg ist, um mich endlich wieder frei zu fühlen.
Aber wie bringe ich Abstand rein zu mir selbst und dem Essen?
Ich brauch es doch!
Wie gelingt es mir , diese schwere Phase „mit ohne ED“ zu überstehen und ihn entgültig los zu werden?
Ich glaube, ich brauche dringend einen neuen Partner. Am besten mehrere.
Einer allein kann diese große Lücke nicht füllen...
Das funktioniert NIE- auch wenn die meisten Menschen das nach gescheiterten Beziehungen versuchen.
Niemand lässt ein Seil los, wenn er kein Neues hat, das ihn trägt. Und wenn der gesamte Selbstwert 25 Jahre an einer einzigen Strippe hing, ist das eine Last, die niemals ein einzelner „Ersatz“Anker halten kann.
Ich glaube auch, dass kein Mensch im Außen jemals diese Lücke füllen kann.
Ich brauche endlich den Halt, den ich so verzweifelt suche, in mir selbst.
Hilfreich wäre ein starkes Netz im Außen.
Im besten Fall ein soziales. Eines, das mich mitträgt und alles zusammenhält.
Und ein neues Netz im Innen.
Neue Verknüpfungen in meinem Hirn, die in Stressmomenten, wenn die "Steinzeit-Automatik" im Kortex greift, andere Autobahnen fährt als die alten - gegen die Wand...
Was will ich wirklich in meinem Leben?
Welche Menschen, Dinge, Situationen brauche ich - und welche sind nur Bullshit?
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Nachtrag:
ED hat mir meinen "Buddisstischen Geburtstag" versaut. Ich sitze halb heulend auf der Couch. Es ist der 1.12.2022.
Mein Kopf dröhnt, mein Herz blutet, mein Mülleimer quillt über und all die Mühe die ich mir gemacht habe kann ich nicht genießen.
ED lacht und zeigt mit dem Finger auf mich: "Hab ich dir doch gesagt der Scheiß interessiert keinen! Auf andere Menschen ist eben kein Verlaß, alles Idioten. Los komm, wir kuscheln."
Ich hasse ihn! Und dann geh ich mit ihm kuscheln, mit dem der Assi...





Ich hab den fiesen Bruder von ED, ich habe ihn Hubert genannt. Hubert ist mein innerer Grübler, er zerdenkt alles und ist vor dem Schlafen gehen besonders laut. Manchmal taucht er auch auf wenn es mir gut geht, ich schwimmen bin und mich wohlfühle, zieht er alte Situationen und Gefühle aus der Erinnerungskiste. Ich weise ihn in seine Schranken und manchmal steht es 3:0 Tine: Hubert manchmal allerdings nicht. Es kostet Kraft, viel Kraft.
Wir brauchen den Mindshit 5000 um sie wegzusaugen oder sowas wie Ghostbusters. ED Busters, Hubert Busters, Universal Busters. Du bist nicht allein, zusammen haben wir 4 Mittelfinger und sagen den Arschkrampen den Kampf an. Aufgeben ist keine Option 💪🏻🫶🏻