Morgen-Routine mit Pudel-Klon
- 6. Dez. 2022
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 9. Dez. 2022
6.30 Uhr Ich hasse meinen Wecker. Ich hasse alle Wecker!
*BLINZEL*
6.57 Uhr
Scheisse - verpennt!
ALEXA- SPIEL MOTIVATIONSPLAYLIST!
Alexa versteht mich nicht. Dumme Kuh! Niemand versteht mich...nicht mal mein Homebot! Ich werde einsam und allein sterben - und ohne Job in der Gosse enden, weil ich immer zu spät komme!
7.00 Uhr
Der Kaffee ist alle. In der Badewanne verstopfen hundert Haare den Abflussgulli und mein Handtuch klatscht mitten ins kalte Duschwasser. Tolle Wurst!
7.04 Uhr
Hau mir den großen Zeh mit voller Wucht an der Wannenkante ein.
Mein Gesicht im schlierigen Badspiegel sieht aus wie eine tote Qualle. Die getönte Tagescreme optimiert da auch nicht mehr viel. Ich schmiere mir die Hälfte versehentlich in meine trüben Augen. Es brennt und ich muss heulen. Die Wimperntusche läuft über die rechte Quallenhälfte.
Jetzt wird die Qualle zum Panda.
Ich geb´s auf mit Make-up heut - muss mich ja zum Glück nicht selbst angucken.
7.15 Uhr
Ich bin mies drauf.
Da hilft auch meine Sammlung von Morgenaffirmationsklebezetteln am Spiegel nicht.
Ich übersehe die inzwischen ohnehin.
Ich sehe nur mein hässliches Quallengesicht.
Ich will wieder ins Bett. Aber ich muss ins Büro.
7.20 Uhr
Im Treppenhaus höre ich die Nachbarin aus dem Erdgeschoss mit ihrem Pudel rumoren. Ich will sie nicht sehen. Ich will NIEMANDEN sehen.
Jedesmal wenn ich das Haus verlasse ist sie da mit diesem Pudel. Einfach IMMER.
Ich bin mir inzwischen sicher, dass es diese Frau dreimal gibt.
Sie teilt sich - so wie Mr. Smith bei Matrix.
Eine Version von ihr steht dann immer im Hausflur. Mit Pudel.
Die zweite Inkarnation dreht Schleifen um den Block. Mehrmals täglich, immer dieselben Runden, wie ein Haifisch (mit Pudelkostüm).
Die dritte guckt zum Fenster raus und beobachtet alle. Sie weiß garantiert besser, was in meiner Einkaufstüte ist als ich selbst. Der Pudel hockt daneben. Sie haben extra Kissen auf die Fensterbank gelegt.
Sie sind die Wächter des Tors – die Minotauri des Plattenviertels - niemand kommt ungesehen an ihnen vorbei! Wen ihr Blick trifft, der erstarrt zu Beton. So sind all die Plattenbauten hier ursprünglich mal entstanden...
Ihre Blicke sprechen Vernichtung, seit ich eingezogen bin.
Ich wußte lange nicht warum. Das Geheimnis lüftete sich, als sie mich einmal im Hausflur fragte (in dem jedes Wort bis nach Nadelwitz schallt!), "ob ich immer so harten Stuhlgang" hätte. Sie würde es immer sehr laut hören, wenn ich die Toilette benutze. „Dann runkst es richtig!“ Ich war an diesem Tag nicht wirklich aufgelegt für eine Auswertung meiner Stuhlkonsistenz und ging nicht näher drauf ein. Trotzdem verfolgt mich diese Frage zusammen mit ihren Blicken seither immer, wenn wir uns begegnen. Ich weiß nicht recht, ob ich lachen oder heulen soll bei der Vorstellung davon, wie sie da unten im Erdgeschoss mit dem Ohr am Abflussrohr klebt, um rauszufinden, wo das Geräusch herkommt, dass sie stört. Ich vermute ja, der Pudel macht sich einen Gag mit ihr. Der kann bestimmt Geräusche nachahmen und treibt die Alte zur Weißglut damit, weil sie ihn ständig anschreit.
Die wenigen Male, wenn sie mit anderen Menschen spricht, verstummt der Dialog abrupt, sobald ich in die Nähe komme. Eigentlich spricht sie ja mit niemandem - außer mit dieser einen anderen Hunde-Oma aus dem Nachbareingang, mit der sonst auch keiner spricht. Es ist eine Pudelverschwörung! Ich bin sicher, sie reden schlecht über mich und machen irgendwelchen Pudel-Voodoo mit mir als Puppe. Deswegen fällt mir auch immer morgens alles runter! Sicher habe ich irgendwelche Verbrechen gegen ungeschriebene Hausgesetze begangen, ohne es zu ahnen. Werde es wohl nie erfahren. Kann mir eigentlich auch egal sein. Trotzdem fühle ich mich jedesmal, wenn ich ihnen begegne, wie ein ungewollter Eindringling in ihr Reich. Bestimmt wohnen sie schon ihr ganzes Leben in dieser Wohnung. Sie, der Pudel und ihre Klon-Schwestern. Ich hoffe, sie lassen irgendwann mit ihren vorwurfsvollen Blicken von mir ab und glauben mir, dass ich nicht schuld bin an ihrem verstopften Klo, sondern der beschissene DDR-Rohrleitungsbau aus den 60ern.
Ich habe dasselbe Recht, in dieser verdammten Platte zu existieren wie sie! Auch wenn ich nicht vor 55 Jahren irgendwelche Arbeitsstunden geleistet habe - dafür musste ich Genossenschaftsanteile kaufen. Mit eigenem Geld!
Ich möchte hier gefälligst atmen dürfen, ohne zu Tode „geblickdingst“ zu werden. Danke!
7.25 Uhr
Endlich ist sie weg und ich traue mich ins Treppenhaus mit meinem unsortierten Müll vom Wochenende. Aus dem überquellenden Beutel starren mich die materialisierten Reste meines emotional angespannten Sonntagabendeklats vorwurfsvoll an. Ich fühle mich schuldig. Wegen meiner Fressattacke, den üblen Gedanken gegen die im Grunde einsame Pudelnachbarin und wegen meiner mangelnden Arbeitsmotivation.
Ich sollte dankbar sein. Dankbar dafür, dass ich "nur" solche Luxusprobleme habe und keine existenziellen.
Denk mal an die Kinder in Afrika. Die sind froh, wenn sie überhaupt eine Mahlzeit bekommen. Die wären bestimmt sogar froh, wenn sie einen Pudel als Nachbarn hätten und keine Hyänen. Und eine Arbeit, bei der man den ganzen Tag nur sitzen und telefonieren muss, statt irgendwelche Kühe auf 50km entfernte Steppenweiden zu treiben.
Warum kann ich nicht einfach zufrieden und dankbar sein für das was ich habe ?
Warum bin ich nicht glücklich über meine vielen anderen tollen Nachbarn.
Alle, die sich ohne murren gefallen lassen, dass ich täglich wie eine Irre lautstark durch meine Stube hüpfe und morgens um vier Staubsauge. Die mir Kekse an die Tür hängen und dem Postboten meine fünfhundert Amazon-Pakete annehmen, weil ich grad mal wieder genau in dem Moment auf dem Pott sitze, wenn er klingelt.
Stattdessen stört mich dieser eine Pudel-Grinch im Erdgeschoss.
Ich bin komisch. Genauso komisch wie die Alte mit dem Pudel.
....to be continued





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