Die Steppenwölfin - Ich will dazu gehören! Am besten überall.
- Leo

- 18. Dez. 2022
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 21. Dez. 2022
Manchmal habe ich Lust auszugehen und Menschen zu treffen. Zum Barabend. Zu einer Ausstellung, einem Konzert oder so. Ich würd auch gern einfach mal irgendwo allein Essen gehen, wenn mir mal wieder die Decke auf den Kopf fällt daheim.
Das erste was ich dann denke ist:
Wer könnte mitkommen? Wer ist dort, den ich kenne? Ich will da nicht alleine hin! Ich brauch irgendwem zum "festhalten". Sieht ja ziemlich blöde aus wenn ich da ganz allein aufschlage und alle andern haben jemanden dabei. Oder ihr ganzes "Rudel".
Da wirke ich so verloren und bedürftig. Oder fühle mich zumindest so.
Ich denke dann, dass alle anderen denken:
Was ist mit der - die hat wohl keine Freunde? Die muss komisch sein, mit der stimmt was nicht. Besser ich rede nicht mit der. Dann denken die anderen ich gehöre zu der komischen dazu....
Oder so.
Das fühlt sich an wie früher - zur Familienfeier gehen und alle fragen, ob ich immer noch keinen abgekriegt hab. Und alle reden über Zeug, was mich null interessiert und lachen über Witze, die ich dämlich finde.
Das fühlt sich auch so an wie früher - wenn ich zum x-ten Mal in eine neue Schulklasse wechseln musste. Oder in eine neue Klinik-Gruppe. Oder eine neue Wohngemeinschaft.
Immer diese Angst, die "Fremde" zu sein, der "Störenfried", der "Außenseiter".
Die, die nicht mitreden, nicht mit lachen kann, weil sie nichts teilt mit diesen Menschen außer den Ort, an dem gerade alle zwangsläufig sein müssen.
Es fällt mir inzwischen nicht mehr schwer, auf fremde Menschen zuzugehen und sie in ein Gespräch zu verwickeln.
Gefälligkeit und Anpassung ist meine Überlebenstechnik geworden nach all den Jahren, in denen ich gezwungen war, mich immer wieder neu zu integrieren.
Gleichzeitig konnte ich nie irgendwo richtig ankommen.
Weil ich tausend Leuten gefallen habe - nur mir selbst nicht.
Ich habe gelernt, wie ich mich für andere Menschen interessant mache. Ich habe gelernt, Menschen schnell zu scannen, mich ihren Vorstellungen und Interessen anzupassen, um gut in ihre Schublade zu passen. Aus dem Wunsch heraus, möglichst jedem von ihnen recht zu sein und schnell ihr "Freund" zu werden.
Aus der Angst heraus, wie ein krankes Tier aus dem Rudel verstoßen zu werden und irgendwo allein zu verenden.
Ich lernte:
Wenn sie was sagen, das mir nicht gefällt, halte ich meist den Mund und lächel drüber. Oder ich schlage noch in dieselbe Kerbe hinein, damit ich möglichst gut ankomme.
Jahrelang habe ich es so geschafft, mich wie ein Chamäleon an all diese immer neuen Umfelder anzupassen. Ich bin selten wirklich angeeckt - außer wenn ich wegen meiner Sucht mal wieder irgendwas gesagt oder getan habe, was sie als "anstößig" oder "untragbar" kategorisiert haben.
Dann bin ich raus geflogen.
Immer.
Ich habe daraus gelernt, dass ich ausgegrenzt und abgelehnt werde, wenn ich meine "dunklen" Seiten zeige und nicht der Norm und den Regeln folge. Ich habe gelernt, meine eigenen Bedrüfnisse zu unterdrücken uns sie den der anderen anzupassen, um akzeptiert zu werden.
Ich habe gelernt, dass es überlebenswichtig für mich ist, mich zu verbiegen mich meiner Außenwelt anzupassen, um in ihr funktionieren zu können und nicht ausgeschlossen zu werden.
So habe ich immer die Menschen angezogen, deren Werte und Verhaltensweisen ich "kopiert" habe. Und weil es so viele unterschiedliche Menschen und Gruppen gab in meinem Leben, wurde das mega anstrengend.
Ich war tagsüber die perfekte Schülerin aka Büroangestellte, bei meinen Kunden die Frau die sie haben wollten je nach Käufertyp. Bei meinem Mann die taffe Geliebt, bei den Kindern die coole und gleichzeitig konsequente Mutter, bei den Großeltern die liebe Enkeltochter und bei meinen Freunden je nach Charakter auch das was ich meinte sein zu müssen. Und das ist nur ein kleiner Ausschnitt. Was für ein Dauerkraftakt!
Die Erlösung war die Kompensation, die Erleichterung im Essen und Trinken, um all diesen Druck wieder los zu werden und all diese Masken abzureißen am Abend hinter verschlossener Tür, wenn mich niemand sieht. Damit ich wieder Luft bekomme.
Ich habe es gebraucht, diese kranke Hilfsmittel, um diese ständige Anpassung besser hin zu bekommen, enthemmter und biegsamer sein zu können, je nach Bedarf der Außenwelt.
Ich bin es so leid mich zu verbiegen. Ich bin es leid, immer allen und jedem nach dem Mund zu reden und gefallen zu müssen.
Ich will kein Chamäleon mehr sein.
Ich will ich sein. Ich will nicht mehr all die Leere in mir mit immer mehr Aufmerksamkeit im Außen füllen müssen.
Und gleichzeitig fühle ich mich immer wieder ausgegrenzt, ausgeschlossen, nicht genug gesehen, ungeliebt und unwichtig, wenn nicht genugt Menschen im Raum sich für mich "interessieren".
Jeder braucht doch auch irgendwie einen "Clan" - einen Halt, einen Anschluss, ein Netz...
Deshalb mag ich Räumen und Gruppen, in denen ich möglichst viele Leute persönlich kenne - wie ein König fühle ich mich dann, wenn ich den Raum betrete und sich möglichst mehrere Menschen gleichzeitig nach mir umdrehen und mich begrüßen.
Und wie der letzte Trottel, wenn keiner das tut.
Das muss anders werden. Ich arbeite daran, mich unabhängig zu machen von dem, was ich denke dass andere über mich denken. Wenn ich mich zeige und meine Wahrheit spreche und lebe, meine Werte verteidige, mich gebe wie ich bin, dann habe ich die Hoffnung, auch die richtigen Menschen in mein Leben zu ziehen, die diese Werte und Wahrheiten teilen.
Und die Hoffnung, dass ich so mit der Zeit auch das richtige "Rudel" für mich finden kann.
Bis dahin versuche ich es auszuhalten, mich oft noch wie eine einsame Steppenwölfin zu fühlen, die irgendwie herum streunt und nicht so richtig weiß, wo sie hin gehört.
Und es gut und richtig zu finden, lieber öfters mal allein zu sein, als immer ein blasses Schaf in der Herde.





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